Harzquellen

Der Regen heute Vormittag lockte mich nach draußen. 

Manchmal, wenn der Kopf heiß läuft, gibt es für mich nichts Besseres, als kalte Tropfen ihn mir abkühlen zu lassen.

Die vergangenen zwei Wochen waren herausfordernd für mich gewesen. Etwas aus meiner frühen Kindheit beschäftigte mich und wollte mich auch nicht so leicht loslassen. Erst jetzt - nach und nach- gewinne ich wieder emotionale Stabilität und Klarheit. Mir wird immer mehr bewusst, dass es sich um eines meiner Kernthemen handelt und dass ich noch vor der Geburt meines Kindes ein Stück weit Heilung geschehen lassen möchte. 

 

Mein Spaziergang führte mich in den Wald. 

Ein Baum, an dem ich oft vorbeigehe, fesselte heute meinen Blick und ließ mich inne halten. Ich denke, es ist eine Fichte. Ihre Rinde ist an mehreren Stellen von dicken Harzquellen übersät, die sich schwallartig über ihr ergießen. 

Diese Stellen deuten darauf hin, dass ebendort Verletzungen passiert sind. Das Harz war nur die Reaktion des Baumes darauf, um sich zu heilen. In der Pflanzenheilkunde ist gemeinhin bekannt, dass Harz nicht nur den Baum selbst heilt. Auch bei uns Menschen wirkt es antiviral, entzündungshemmend und wundheilend.

Es wird als das Gold des Waldes bezeichnet. 

 

Vor einigen Monaten hatte ich mir genau von diesem Baum etwas Harz zum Räuchern mit nach Hause genommen. Jetzt, wo ich im Regen vor dem Baum stand, überkam mich Demut und Dankbarkeit. Seine Wunden bzw. sein Umgang mit den Wunden heilte nicht nur ihn selbst, sondern auch andere. Mein philosophisches Herz erwärmte sich und mein inzwischen kühler Kopf übertrug die Metapher gleich auf meine Situation.

Je nachdem, wie ich mit meinem "Kindheitsthema" umging, konnte es auch andere bereichern. Mein persönliches Harz wirkte auch wundheilend bei anderen. Allen voran gönnte ich dieses Harz natürlich dem Kind in meinem Bauch. 

 

Dies motiviert mich, eine Antwort zu finden, die ich ver-antworten kann. Das Sinn-Potential zu erkennen, nicht nur für mich, sondern über mich hinaus. Es hilft mir, leidige Gefühle würdevoll zu empfinden und mich dabei mir selbst zuzuwenden. Und auch, daran zu glauben, dass der Quell der Heilung bereits in mir liegt. 

 

Ich denke, Frankl wäre stolz auf mich.