Heute, als ich das erste Glas meiner heuer fermentierten Gemüse öffnete, um mich zu vergewissern, ob es den Gärungsprozess durchgehalten hatte,
fiel mir ein Satz ein, den einst der Sohn einer Klientin in der Mobilen Betreuung von sich gab.
Es musste doch ein sehr gewichtiger Satz sein, wenn ich ihn mir merkte. [Ich war bei besagten Leuten immer sehr damit beschäftigt, die äußerst demente Klientin davon abzuhalten, sich den Verband wieder von den Füßen zu reißen, während der Sohn nebenher nicht an seinen Anekdoten sparte.]
Der Satz lautete in etwa: Zu ernten bedeutet vor allem, dankbarer zu werden. Denn wer erntet, erkennt, dass es nicht selbstverständlich ist, immer Ertrag zu sehen.
Er sprach in diesem Zusammenhang von der Kirschernte, die damals prächtig ausfiel. In den Jahren zuvor war es einmal zu nass, dann waren vielleicht die Würmer oder Stare schneller oder die Temperaturen ungünstig.
Auch mein Vater tätigte, als es in einem Jahr um das Mostobst in den Streuobstwiesen schlecht bestellt war, die Aussage:
Es kann nicht jedes Jahr die beste Ernte sein.
Mir gefällt, von welcher Perspektive aus diese beiden weisen Männer die Ernteflauten und -fluten betrachten!
In einem Zeitalter, in dem Wirtschaftlichkeit "immer mehr" bedeutet & die Menschheit sich mit automatisierten Riesenmaschinen, Dünge- und Spritzmitteln, mit dem Sprühen von Chemikalien in die Luft, um das Wetter zu beeinflussen, ermächtigt,
scheint eine solche Perspektive sehr rar.
Sie veranschaulicht nämlich die eine Komponente, die oft vergessen wird: Ab einem gewissen Punkt liegt ein Ergebnis nicht mehr in unserer Hand.
Da gibt es eine Instanz, die wesentlich größer ist als wir. Mächtiger, wissender und liebender. In ihren Händen liegt soviel mehr, als wir ahnen.
Was weiß schon der Mensch, was gut für ihn ist?
Nein, nicht mal ein Gates oder Bezos sind dem gewachsen.
Das alles könnte Angst machen, denn es bedeutet, dass wir die Kontrolle -zumindest ab einem bestimmten Punkt- abgeben müssen.
Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieser höheren Instanz, wovon immer wir hier auch sprechen, vertrauen dürfen.
Ab diesem genannten Punkt sind wir frei von Verantwortung & frei für Vertrauen.
"Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand", sagte einst Margot Käßman.
Meine Schwester erzählte mir bei einem Spaziergang einmal von einer interessanten Theorie. Es ging darum, dass ich einer Herausforderung nervös entgegenblickte.
Sie sprach davon, wie die Aufteilung des Erfolges aussah:
1/3 hatte ich in der Hand (Vorbereitung, Geschick, Abliefern)
1/3 ist rein die eigene Ausstrahlung/Wirkung/was durch mich hinausschwingt &
1/3 ist Überdimensionalem geschuldet & liegt unserem Zutun weit entfernt (in diese Kategorie kann man z.B. auch die Reaktion von anderen einstufen);
Diese Dreiteilung hilft mir persönlich sehr, mutigen Schrittes voranzutreten.
So wie die Ernte ihre Zeit hat, so hat alles davor seine Zeit (die ersten 2/3).
Ich persönlich mag das Bild eines Puzzles gerne. Wir setzen ein Puzzleteil nach dem nächsten, ohne wissen zu können, wieviele Teile unser Puzzle hat. Und doch ist es irgendwann voll & wir können uns zurücklehnen & das Werk bestaunen. Und schon wartet das nächste. :D
Beim Maisfeld, das vor unserem Wohnhaus liegt, konnte ich beobachten, wie nahtlos Ernte & Säen in ihrem Kreislauf übergehen.
Kaum war das Feld abgedroschen, kam der Bauer zum Schlägeln, zum Grubbern & schließlich zum Anbauen.
Es erinnert mich an die Geschichte, als Buddha gefragt wurde, was er vor der Erleuchtung tat. Er antwortete: "Holz hacken und Wasser tragen." Und auf die Frage, was er nach der Erleuchtung tat, meinte er: "Holz hacken und Wasser tragen."
Über Dankbarkeit hab ich bereits geschrieben, deshalb werde ich hier auch nicht mehr ausholen.
Aber doch stellt sich vielleicht die Frage, warum es miese Ernten geben muss, um für die guten dankbar sein zu können.
Ganz ehrlich? Ich weiß es auch nicht.
Aber in Erfahrung gebracht hab ich, dass alles Verfügbare, Selbstverständliche, Kontrollierbare schnell seinen bewussten Wert für mich verliert.
Erst mit dem Verlust oder zumindest mit der Möglichkeit dessen, erkennen wir, dass nichts Selbstverständlich ist.
Nicht die Gesundheit, nicht die Partnerschaft, nicht der Frieden in der Familie, nicht das Elternhaus, auch nicht das Augenlicht oder unsere 2 Beine. Nicht das Spazieren durch einen Supermarkt ohne FFP2-Maske, nicht die Zahlen auf unserem Bankkonto oder Entscheidungsfreiheit an sich. Nicht das Leben.
Beim Erntedankfest vor 2 Wochen lud uns unser Diakon ein, Danke für die Ernten in unserem Leben zu sagen.
Wo soll man da anfangen & wo aufhören?
Ich hab entschieden, mein Erntedankfest weiterhin täglich vor dem Schlafen zu veranstalten. Denn mit dem "Danke-Sagen" werd ich so schnell nicht fertig.
Wie sieht dein Ertrag aus?
Welche Ernte hast du eingefahren?
Kannst du deine Scheunen füllen?
PS.: Die oberste Schicht meines fermentierten Gemüses war zwar etwas bräunlich & geschmacklich nicht besonders, aber das darunter: Herrlich!!!