"Sollten Sie irgendwann einmal Liebe erfahren haben,
dann wissen Sie, wie sehr man aus Liebe leiden kann."
Brida - Paulo Coelho
Mit 15 Jahren wurde mir zum ersten Mal so richtig das Herz gebrochen.
Meine beste Freundin, die schon immer begnadete Schreiberin war, verfasste damals für mich "das ultimative Drehbuch" unserer Liebesgeschichte. Es hörte sich so schön, so vollkommen an & nicht zuletzt deshalb, weil es mich an einen Film erinnerte - und Filme solcher Art immer gut ausgingen - glaubte ich an ein Happy End.
Er: ein Bad Boy sondergleichen, gepierct über das ganze Gesicht mit Irokesenhaarschnitt, natürlich gebrandmarkt durch eine harte Kindheit, & ich: ein braves, unerfahrenes Blondinchen, das die Welt retten wollte.
Hinter seiner beinharten Fassade glaubte ich Witz, Intellekt und Wärme zu erkennen.
Ich fühlte mich durch seine Avancen besonders und exklusiv, gesehen und wertvoll.
Aber anscheinend wollte er mehreren Mädels dieses Gefühl geben^^
Sein Abgang war genauso theatralisch wie sein Auftritt, er versuchte es noch mit Marius Müller-Westernhagens "Weil ich dich liebe". Vergebens.
Meine Reaktion war nicht minder theatralisch: Ich stahl mich aus meinem Elternhaus und kippte bei einer nahegelegenen Bushaltestelle einen Schluck Metaxa nach dem anderen.
Wenn ich meine Tagebucheinträge von damals lese, bricht es mir fast nochmals das Herz,
und doch muss ich auch schmunzeln darüber, wieviel mehr ich letztenendes doch in das Leiden selbst verliebt war, als in diesen Burschen.
Endlich verstand ich und wand ich mich unter den Liedern von Evanescence, den Toten Hosen und der Böhsen Onkelz.
Ich genoss das Suhlen im Herzschmerz förmlich, die Rolle der "Verletzten", nun Unnahbaren beim Fortgehen.
Warum erzähl ich diese Geschichte?
In den letzten Tagen und fast schon Wochen beschäftigt mich die Frage, warum Liebe und Leid so eng miteinander verbunden sind. Warum bedienen sie sich einander so sehr? Oder ist bedingen das richtige Wort?
Ist es klug, das eigene Herz ganz zu öffnen?
Die Fragen kommen nicht von Irgendwo. Erlebnisse von Freunden und Bekannten, die unter die Haut gehen, bewirkten sie. Das Leid tritt hierbei in Form von Ehebruch, Kränkung, Abwendung, Enttäuschung, aber auch einfach in unerfüllten Erwartungen auf. Manchmal bedeutete das Leid, keine Gefühle (mehr) aufbringen zu können. Oder eine Diskrepanz des Intimitäts- und Nähebedürfnisses.
Die Liebe erscheint mir schon lange nicht mehr so sonnenklar, wie ich sie mir einst ausmalte.
Vielmehr glaube ich heute, dass uns Menschen, die wir lieben, sowohl unsere absolute Liebenswürdigkeit zeigen können, aber auch die Stellen, an denen wir uns am unliebenswertesten fühlen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich dazu neige, mich zu verschließen, wenn letzteres der Fall ist.
In erster Reaktion verteidige ich mich meistens offensiv. Greife also an, weil ich mich angegriffen fühle. Dann folgt meistens der erwähnte Verschluss und das Vormurmeln eines Paktes, der da lautet, zukünftig lasse ich gar nicht mehr zu, dass ich verletzlich bin. Was zugleich aber heißt, das Herz zu verschließen.
Und Liebe bedeutet aber genau das: das Herz zu öffnen und sich damit verletzlich zu zeigen.
Dem anderen zu zeigen, dass man eine Schwäche (für ihn) hat; dass man Narben trägt, die einen noch immer prägen;
Ja, in der Liebe sind wir am verletzlichsten. Das haben sich in der Vergangenheit (zumindest wird es in Sagen, Mythen und Filmen so dargestellt) viele zunutze gemacht, indem sie das Verletzungspotenzial ihrer Feinde in ihren Liebsten erkannten & dort angriffen, um zu bekommen, was sie wollten.
Das Wort Leidenschaft ist auch sehr interessant!
Bei Leidenschaft denken wir grundsätzlich zuerst einmal an die Leidenschaft zwischen Mann und Frau. Was wäre das Verliebtsein ohne Leidenschaft? Die Leidenschaft ist eine Kraft, die man nur schwer versteht und sie ist völlig unverfügbar, um den Begriff Hartmut Rosa‘s zu verwenden. Wir können sie willentlich nicht herbeiführen oder bewirken. Sie ist pure Spontanität und pures Geheimnis. Eine alchemische Rezeptur, um sie herzustellen, würde wahrscheinlich teurer gehandelt werden als der sagenumwobene „Stein der Weisen“, der alles zu Gold verwandeln möchte.
Wir verzehren uns nach andauernder Leidenschaft in unseren Beziehungen,
und das, obwohl der Name verheißt, dass Leidenschaft Leiden schafft.
Vielleicht leider, vielleicht Gott sei Dank nimmt die Leidenschaft normalerweise im Laufe einer Beziehung ab. Je mehr wir von jemandem wissen, je weniger wir um ihn buhlen müssen & je mehr Alltag einkehrt, umso weniger leidenschaftlich ist der Umgang mit diesem.
Ausnahmen mögen die Regel bestätigen.
Was ist mit Ana und Christian nach dem dritten Teil von „Shades of Grey“ passiert? Und was mit Daphne und Simon nach der ersten Staffel „Bridgerton“? Kehrte auch bei ihnen der Alltag ein?
Eigentlich möchte ich es gar nicht wissen.
Denn als Zuschauerin investiere ich Zeit und Geld dafür, um mir weiß machen zu lassen, dass es diese exklusive und unantastbare Anziehung zwischen genau einem Mann und einer Frau gibt.
Ich muss schmunzeln, wenn ich an dieses so offensichtliche Muster denke, das diesen Liebesfilmen und -romanen gemein ist:
Ein Mann, der alle Frauen haben kann, weil er unwiderstehlich schön, charismatisch und reich ist. Aber er wurde vom Leben verletzt & hat deshalb aufgehört, an die Liebe zu glauben. Verrucht und unantastbar ist er.
Dann ist da diese Frau, wir spiegeln uns in ihr wieder: wenig selbstbewusst, aber eigentlich ein ungeschliffener Diamant, der nur darauf wartet, von jemand Würdigem entdeckt und geschliffen zu werden. Sie ist meist unerfahren, aber spontan leidenschaftlich mit großem Herz.
Sie lernen sich kennen, wollen sich der Anziehung erwehren, die immer größer zu werden scheint, schaffen es aber nicht. Irgendwo in der Geschichte ein Riesendrama, bei dem man glaubt, es kann nichts mehr werden zwischen den beiden. Aber plötzlich fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: es ist Liebe! Und Kraft der Liebe überwinden sie jegliche Hürde, die sie voneinander trennte.
An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich ein absoluter Fan von solchen Geschichten bin. Natürlich bestehe ich auf ein gewisses Niveau, aber trotz meiner zynischen und mich-lächerlich-machenden Anteilen brauche ich diese Storys von Zeit zu Zeit. Warum auch immer. Vielleicht aus Sehnsucht nach Leidenschaft, Belebung oder Drama, ohne viel dafür tun zu müssen.
Am Ende des Tages würde ich den jetztigen Grundtenor meiner Beziehung nicht tauschen wollen gegen anhaltende Leidenschaft. Im ersten Jahr meiner Beziehung dachte ich fast ausschließlich an meinen Partner, verbrachte jede freie Minute mit ihm, schien dabei wie eine Süchtige.
["Liebe macht süchtig, betrunken und blind" - Böhse Onkelz/ Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt]
Aus der Leidenschaft wurde Vertrauen und Liebe, was mir heute ermöglicht, mich wieder anderen wichtigen Beziehungen in meinem Leben zu widmen: der Beziehung zu meiner Berufung, meiner Familie und meinen Freunden, meiner Hobbys, der Natur, der Spiritualität und der Beziehung zu mir.
Erst in dieser Fülle fühle ich mich ganz. Und das ziehe ich ganz bewusst einer Sucht vor.
Außerdem heißt es nicht, dass es nicht auch noch leidenschaftliche Momente gibt…
Es gleicht einem Wellengang und wie unser Diakon in einer Predigt einst sagte: Die Phasen der Nähe und der Distanz wechseln sich ab.
Liebe und Leid.
Robert Betz erklärte bei einem Vortrag, dass unsere Partnerschaft die größte Bühne dafür darstellt, unsere Verletzungen zu heilen. Verletzungen aus der Kindheit, aus dem Bereich der Weiblich- und Männlichkeit, mangelnde Selbstliebe...
[Randnote: Ich seh grad, was auf meinem Teebeutel steht: "Die Menschen sind Schauspieler auf der Bühne des Lebens."]
Die Heilung passiert zumeist, indem schmerzvolle Gefühle hervorgerufen werden. Und diese treten solange auf, bis wir sie loslassen und heilen.
Die erste Phase der Verliebtheit dient laut ihm lediglich dazu, eine Stabilität und Bindung aufzubauen, damit man nicht bei der kleinsten Schwierigkeit sofort davonläuft.
Je tiefere Gefühle hervorkommen dürfen, umso stärker die Liebe.
Die Liebe endet seiner Meinung nach auch nicht, wenn wir das glauben, selbst nicht bei einer Scheidung, einem Seitensprung usw.
Das, was wahrlich in uns liebt – unsere Seele – hört nicht auf zu lieben.
Vielleicht ist es gar nicht so, dass die Liebe von Leid begleitet wird, sondern umgekehrt.
Vielleicht begleitet die Liebe das Leid, umarmt es, wiegt es, redet auf es ein, damit unser Herz heilen kann & wir es wieder ganz öffnen. Ohne Liebe keine Öffnung, keine Heilung, keine Ganzwerdung.
Wie auch immer. Mir wäre nur Liebe auch recht. ;-)
PS.: Es stimmt mich seit fast einer Woche glücklich, dass Simon seinen Stolz aufgab & bei Daphne blieb! Wie ich gebangt habe! (Bridgerton)
Wöd-Scheim!