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Hauptsoch gsund?

"Hauptsoch gsund" war laut Überlieferungen ein Satz, den ein (inzwischen verstorbenes) Urgestein unseres Dorfes zu sagen pflegte.

Was er sagte, galt.

Es schien auch stets der Tenor hinter all den Maßnahmen zu sein, die das vergangene Jahr mit sich brachte.

Egal mit wem der Wert Gesundheit in den Ring stieg - Gesundheit vs. Freiheit, Gesundheit vs. Vertrauen, Gesundheit vs. Glaubensrituale, Gesundheit vs. Bildung, Gesundheit vs. Begegnung - letztenendes gewann er den Kampf. Als hätte er den einen Killerschlag, der letztlich jeden anderen Wert ausknockte.

Vielleicht war dieser die unreflektierte kollektive & ausnahmslose Übernahme der Gesundheit als höchsten der Werte? Oder Angst?

 

Ich muss zugeben, dass auch ich dem zwischenzeitlich anheimfiel.

Zuvor hatte ich immer groß geredet und gedacht (genauso unreflektiert): Schei* Maskenpflicht, Freiheitsberaubung, unwürdige Pflegezustände mit der Vermummung & dem Abstandhalten,....

Doch plötzlich erkrankte mein Vater an dem Virus, dessen Namen (des V.) hier nicht genannt wird.

Mein Vater galt als richtiger Risikopatient, dementsprechend schlecht ging es ihm auch. Als er mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht wurde, weil seine Sauerstoffsättigung im Blut immer mehr sank, war ich voller Angst, voller Sorge um ihn (bestimmt nicht nur ich).

Die vorher verharmlosten Horrorbilder aus den Medien kamen mir in den Sinn. Ich versuchte sie mit Vertrauen, mit Beten, zu verscheuchen & doch drang da diese Angst vor dem "Worst-case" immer wieder durch.

Dazu gesellte sich, aus Hilflosigkeit, Wut: Warum hat Papa nicht besser auf sich aufgepasst?! Warum hat er sich nicht zeitlebens mehr um seine Gesundheit geschert, warum war dies nicht auch sein höchster Wert, wie von so vielen?!

Und da war der Moment. Auch bei mir gewann Gesundheit vs. allem anderen.

 

Zum Glück ging es bei meinem Vater nach einigen Tagen bergauf & endlich fing ich an, zu reflektieren, mein bewusstes Werteranking zu erstellen bzw. auf den neuesten Stand zu bringen.

Es war nicht die Pflicht meines Vaters, Gesundheit & langes Leben als höchsten seiner Werte anzuerkennen. Er war (& zum Glück ist) ein Meister des "guten Lebens", konnte genießen wie kein anderer, war gesellig, riskierte seine Gesundheit oft auch für Hilfe am Nächsten oder für das Schaffen von etwas ihm Bedeutendem.

Vielleicht riskierte er seine Gesundheit, aber bestimmt nicht sein Leben. 

Denn das größte Missverständnis, das es gibt, ist, dass Gesundheit Leben bedeutet.

Es geht um ein Leben in Würde. Und Würde ist etymologisch mit dem Begriff "Wert" verwandt. Ein wertvolles Leben.

Ein Leben ohne Werte ist ein wertloses Leben. Ähnlich ein Leben mit übernommenen Werten.

Und ein Leben mit Krankheit kann genauso wertvoll sein wie eines ohne.

  

 

Wie viele Menschen kennt man, die ihr Leben scheinbar nur fristen! Sie sind vielleicht gesund, aber leben sie wirklich?

Wie viele laufen Dingen nach, die ihnen verheißen wurden, & angekommen, empfinden sie gar nicht das, was sie sich erhofft hatten! Es war nicht ihres.

Mein Papa hat früher gern gesagt: "Lieber 60 Jahre leben als 80 Jahre nicht leben".

Natürlich ist auch Gesundheit ein Wert von ihm, 

ansonsten würde er nicht regelmäßig auf Kur fahren, ins Fitnessstudio gehen oder die Salzoase besuchen.

Aber es ist nicht & war nie seine oberste Priorität. Somit blieb ihm genug Zeit und Raum zum Leben.

 

Und da ist auch die Frage: Was ist wirklich gesund, was macht gesund?

Gibt es eine kollektive Antwort & ein gültiges Konzept?

Oder ist es nicht vielmehr eine individuelle Sache?

Verändert es sich vielleicht auch zeitlebens?

 

Meine Tante hat ein Buch mit dem Titel "Was den Einen nährt, macht den Anderen krank" geschrieben. 

Wie der Titel anmuten lässt, handelt es von Ernährung, aber ich glaube, man kann ihn zugleich auf alles andere übertragen.

 

Das verunsichert womöglich Menschen, die es mögen, sich an Vorgaben zu orientieren. 

Ich mag das auch manchmal, vor allem, wenn ich im Strudel des Lebens gerade nicht dazu komme, auf mein Bauchgefühl zu hören.

Aber letztlich lande ich immer wieder bei der Erkenntnis, dass für mich etwas anderes stimmt, als für andere.

(Eine These Viktor Frankl's lautet, als Person bin ich ein absolutes Novum, etwas Neues und Einzigartiges. Person kommt aus dem Lateinischen "personare" & bedeutet "durchtönen". Das, was durch mich tönt, ist nur meine Stimme, stimmt für mich)

 

Bewusstsein.

Andrea Vaz-König, eine Wiener Ernährungsexpertin, postuliert: "Sich bewusst zu ernähren ist wichtiger, als sich gesund zu ernähren".

Sie meint, es gäbe keine Tabus, & die wichtigste Nahrung seien unsere Gedanken.

Wer ganz beim Essen ist, ihm Zeit und Aufmerksamkeit schenkt, der fühlt das Essen im Körper & was es mit ihm macht.

Das hinuntergeschlungene Gemüse-Gericht mit besten Zutaten kann weniger gesund für einen sein als bewusst genossene Schokolade.

 

Schnell-schnell, nebenbei & Gewohnheit sollen die Ausnahme darstellen.

 

Wiederum glaube ich, dasselbe gilt auch für alle anderen Bereiche unseres Lebens.

Unser Körper ist unser Messinstrument.

 

Ich habe für mich herausgefunden, welch großen Unterschied es macht, aus Pflichtbewusstsein eine Runde spazieren zu gehen oder aus Lust,

ob ich mit meinen Gedanken ganz wo anders bin oder im Moment.

Manchmal fühlt sich das Schauen eines Weihnachtsfilmes gesünder an, als eine Yogaeinheit.

Und für Beziehungen kann mal Distanz gesünder sein als Nähe.

 

Die am längsten laufende wissenschaftliche Studie der Welt ist die sogenannte "Harvard Study". An der Harvard-Universität in Cambridge versucht man seit 1939 herauszufinden, was ein gesundes, langes, glückliches Leben ausmacht.

Nach 81 Jahren ist die aktuelle Antwort auf die zwei wichtigsten Fragen, die sie stellen, folgendes:

1.) Was ist der eine, der wichtigste Grund für ein gesundes, langes Leben?

Nicht rauchen, das Gewicht halten, viel Bewegung an der frischen Luft, wenig Alkohol.

Alles wichtig, aber nichts das Wichtigste.
2.) Was ist der eine, der wichtigste Grund für ein glückliches, geglücktes Leben?

Nicht viel Geld verdienen, ein Haus & einen klugen, schönen Partner haben, nicht erfolgreich, gebildet, weltoffen, humorvoll, gelassen sein.

Manches wichtig, manches weniger.

 

Herausgekommen ist: Das wichtigste ist die Qualität unserer engsten sozialen Beziehungen.

All you need is love.  Es geht um Liebe.

Unsere engste Lebensbeziehung ist der wichtigste Faktor für Lebensglück, Gesundheit und Langlebigkeit. Dann, mit kleinem Abstand, geht es darum, wie gut es in unserer Familie insgesamt läuft, ob wir echte Freunde haben und ob wir in unsere Gesellschaft eingebunden sind.

Ist Liebe der Grundtenor dieser Beziehungen?
Dann macht auch der eine oder andere Konflikt nichts.

Laut Gisbert Knüphauser sollten lieblose Partnerschaften Warnaufkleber tragen wie Zigarettenpackungen. Denn umgekehrt gilt auch: Einsamkeit, Ablehnung, Hass, Distanz machen uns krank.

(Man bedenke hierzu die momentan angeordneten Richtlinien...*räusper*)

 

 

Da frage ich mich: Wenn ich nicht liebe, was ich esse, tue, sage, sehe, bin - ist es dann gesund?

Ja, im Lichte dieses Scheinwerfers kann ich dem Urgestein Pollham's [reflektiert] Recht geben: Hauptsoch gsund!
Und vielleicht sogar Arthur Schopenhauer.

 

 

 

 

"Liebe macht uns so gesund und glücklich,

wie das kein grüner Smoothie jemals schaffen wird."

(Gisbert Knüphauser)

 


Who wants to live forever?



Gesundheit vs. "Einmal"-Momente