Heute hab ich mit einer jungen Frau gesprochen, deren Leidensweg vor Jahren begonnen hat, & die einen Tag als erfolgreich erachtet, wenn nicht-opioide (also kein Morphium) Schmerzmittel ausreichen, ihn zu überstehen.
Seit sie vor Jahren bei einer harmlosen gynäkologischen OP an der Blase verletzt wurde, hat sie eine Odyssee an Krankenhausaufenthalten, OPs, Rehas und zahlreichen schlaflosen Nächten wegen nicht mehr enden wollenden Schmerzen im Unterleib hinter sich.
Ihr Kleinkind wurde zu einer Pflegefamilie gegeben, da ihr Zustand es nicht mehr erlaubte, ihn zu hüten.
Eine risikoreiche, aber erfolgreiche Urostoma-Anlage im Ausland ermöglicht ihr heute eine Lebensqualität wegen Schmerzlinderung, von der sie nicht mehr zu träumen wagte.
Sie erzählte mir, wie sehr sie in den vergangenen Jahre ihren Körper kennengelernt hat. Sie wüsste z.B. nun genau, worauf er wie reagiere.
Es gab Lebensmittel, die ihre Nierenfunktion anhoben & welche, die sie hemmten. Es waren aber nicht jene, die das Lehrbuch als "harntreibend" vorstellten. Ihr Körper bedurfte anderer.
Sie sagte, sie erachte scheinbares Fachwissen als gut gemeinten Rat, höre aber inzwischen viel mehr in sich selbst hinein,
da es für einen Körper und dessen Stoffwechsel keine allgemein gültige Bedienungsanleitung gab, sondern dieser vielmehr ein einzigartig funktionierendes Wunderwerk sei, der nicht darauf aus war, der momentan gültigen Health/Lifestyle-Mode zu folgen.
Den ganzen Tag über dachte ich über ihre Worte nach.
Sie klingen so banal, tausendmal vernommen,
aber letztenendes sind die Leben in unserer Kultur genau auf dem Gegenteil aufgebaut- Effizienz und Vereinheitlichung.
Es wimmelt alles nur so von Konzepten - Low-Carb & Keto-Diät, Ayurveda, Urban Lifestyle, Detox, biodynamisch, vegan, Ehe, Haus & SUV, ....
Ich meine damit natürlich nicht nur Konzepte für einen gesunden Körper, sondern auch jene, die auf die anderen Dimensionen unseres Seins abzielen (Psyche und Geist).
Es scheint bereits für alles ein Rezept zu geben. Tausende.
Und doch hanteln sich viele vom einen zum anderen, weil die vielversprechenden Konzepte doch nicht die Wirkung zeigen, die sie versprechen: nicht die Gesundheit, die schöne Figur, das Glück, die guten Beziehungen.
Man darf es uns fast nicht übel nehmen. Wer von uns hat schon gelernt, in sich hineinzuhorchen?
Ein Bekannter möchte seine 2 Töchter in eine Schule schicken, die ein freies, kreatives Lernen ermöglicht. Eine der Grundsätze dieser Schule ist, dass kein Kind aufgenommen wird, das bereits an einer Regelschule Unterricht erhalten hat. Das Gehirn eines solchen Kindes sei bereits darauf trainiert/programmiert, nicht mehr frei, kreativ und selbstbestimmt gern zu lernen.
Unser ganzes Bildungssystem ist darauf aufgebaut, zu tun, was uns befohlen wird. Lob erhalten jene Schüler, die ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen soweit zurückstecken können, dass sie dem Lehrer dorthin folgen, wo immer er sie haben will.
Dasselbe System folgt in der Arbeitswelt (mir wurde in meiner Arbeit von einem Vorgesetzten einmal gesagt, ich solle nicht soviel mitdenken) & nicht zuletzt in der aktuellen Corona-Situation sieht man, dass alles darauf aufgebaut ist, uns an externe Vorgaben zu halten.
Ja, es ist auch bequem, selber nicht nachdenken oder erst herausfinden zu müssen, was wirklich für uns passt.
Aber würden fremde Konzepte genügen, wären wir alle viel glücklicher, gesünder, erfolgreicher...
Leider ist "Ursache->Wirkung" eine illusorische Größe. Für "Tu das, dann passiert das" gibt es keine Garantie. So funktioniert Leben nicht.
Des einen Heilmittel ist des anderen Gift.
Petra und Ralf Dannemeyer, zwei deutsche Psychologen, meinen, dass die diffuse Unzufriedenheit, die bei uns eine Art Volkskrankheit darstellt, daher kommt, dass wir unsere wahren Wesenskern nicht kennen. Wir leben nicht selbstbestimmt, sondern orientieren uns unser ganzes Leben an dem, was wir als "norm-al" betrachten oder glauben, dass andere von uns erwarten.
Erst wenn wir völlig authentisch, arglos, neugierig unser Innerstes kennen und leben, können wir glücklich sein.
Hubert Achleitner alias Hubert von Goisern schreibt in seinem (neuen) Buch in Anlehnung an Fromm darüber, dass je mehr wir haben, desto weniger sind wir. Er meint damit auch Wissen, das wir uns ansammeln. Je mehr wir zu wissen (=haben) glauben, desto mehr verfehlen wir unser Sein.
Zwischen "guad moana" und "wos Guads doa" ist einfach oft ein Unterschied...
Warum scheuen wir uns, UNSER Ding zu machen?
Ich glaube, einerseits aus Gewohnheit & Bequemlichkeit, andererseits aus Angst.
Es gab evolutionär Zeiten, in denen es lebensbedrohlich war, sich von der Masse abzuheben oder auf eigene Faust zu handeln.
Die Menschheit entwickelte ihre Überlegenheit anderen Lebewesen gegenüber, weil sie in großen sozialen Systemen zusammenhalten lernte.
Tief in uns drinnen, in unserem Reptiliengehirn, findet sich diese Erfahrung wieder.
Fortuna war uns aber im Laufe der Jahre hold und somit geht es für "uns Westler" nicht mehr um einen Überlebenskampf, wir dürfen die Maslow'sche Pyramide hochschauen und uns etwas anderem widmen.
Von essentiellen Fragen zu existenziellen. Nicht mehr, dass wir überleben, ist Hauptthema, sondern wie wir leben.
Und ich finde, dieses Privileg sollte genutzt und verwirklicht werden, zumindest das sind wir denen schuldig, die es nicht (mehr) können.
Ein gutes, glückliches, verantwortliches Leben bedeutet aber nicht Homöostase, also die Befriedigung aller unserer Gelüste, sondern ein Leben nach unserem ureigensten Sein. Sinnfülle, Intuition & Selbst-Bewusstsein.
Wie meine Bekannte sagte: Wir sind ein einzigartig funktionierendes Wunderwerk. Jeder von uns!
Lasst uns aufhören, uns am Außen zu orientieren, & uns stattdessen achtsam in unseren Körper, unsere Emotionen, unsere Gedanken und unsere Taten hineinhorchen. Lasst uns unsere eigene Sprache verstehen lernen.
DICH braucht es, alle anderen gibt es schon.