· 

Die 2 Farben des Twinni

Würdest du von dir behaupten, du wärst ein Kämpfer, ein Krieger, ein Fighter?

Ich für meinen Teil hätte bis vor kurzem galant geantwortet, ich bestimmt nicht. Schon mein Vorname bedeutet "die Friedvolle".

 

Und ob ich kämpfte! (...ich kleine Don QuijcotIn)

In meinem Kopf waren bestimmte Vorstellungen- von mir, von anderen, von einem Tag, vom Leben.

Jedwede Abweichung widerstrebte mir. Die Dinge, sie sollten gefälligst so sein, wie ich sie haben wollte.

Ich hatte mir ein riesen Konstrukt an Erwartungen zusammengebastelt, eines, das vor meinem inneren Auge wie ein Mobile im Wind tanzte, um mich stetig zu erinnern, wie etwas sein müsste.

Aber Erwartung hat eine Zwillingsschwester, ja sogar einen siamesischen Zwilling, namens "Enttäuschung". Sie tauchen grundsätzlich im Doppelpack auf, ergänzen sich, ergänzen dich. Denn wie das Wort Enttäuschung schon verrät, ist es das Ende einer Täuschung.

Ja, auch ich habe mich getäuscht! Ich habe erwartet, dass das Leben mir Verschiedenes schuldig ist & dass es auf Ursache und Wirkung basiert.

Ich erwartete mir Glück und Gesundheit für meine Geschwister, dass andere meinen Mangel an Selbstliebe ausgleichen & dass, wenn ich so und so tue, das und das passiert.

 

Diese Woche fiel es mir wie Schuppen von den Augen, wie eng ich das Leben bemessen habe.

Und wie sehr ich mich gegen Abweichungen gewehrt habe. 

Natürlich wollte ich nur "das Grüne vom Twinni"- schöne, angenehme Gefühle, Quantensprünge ins Glück, harmonische Beziehungen, Erfolg.

Das Leben hielt mir aber auch "das Orange" hin. Ich verzog das Gesicht & drehte mich weg. "Sicher nicht vertue ich mir jetzt den guten Nachgeschmack vom Grünen & ess das Orange!" (Orange= unangenehme Gefühle, Enttäuschung, Missverständnisse, Hürden...)

Aber das Leben blieb stets hartnäckig & hielt es mir weiterhin vor die Nase. 

Ich begann, dagegen anzukämpfen, aber nicht so cool wie "Peanut Butter Falcon", sondern eher wie in billigen Komödien, wo Männer mit angelegten Ellbögen nur ihre Hände "botschad" auf und ab bewegen. Meine imaginäre Kampf-Bewegungen sorgten dann nur dafür, dass ich mir "das Orange" letztenendes selbst ins Gesicht drückte.

 

Als mir die Schuppen von den Augen fielen, erkannte ich plötzlich eine neue Möglichkeit: Was, wenn ich zukünftig realistisch wäre & mit beiden Twinni-Hälften rechne? Wenn ich das "Orange" annehme & ihm vielleicht sogar eine Chance gebe, auch meinem Geschmack zu entsprechen, statt mich dagegen zu wehren?

 

Vor kurzem las ich eine philosophische Auseinandersetzung zum Thema, was gutes Reisen sei.

Jean-Jacques Rousseau wurde in's Spiel gebracht. Er meinte (bereits im 18. Jahrhundert!) , das, was uns die Freude am Urlaub/ dem Reisen nehme, sei zu viel Kultur und Bildung (alias Vorkenntnisse). Wir bereiten uns auf Reisen vor, lesen darüber, was uns erwartet, stellen uns Dinge vor. Doch das, was eine Reise so schön macht, ist das Neue, das Unerwartete, das Überraschende. Durch die Vorkenntnisse nehmen wir uns die Möglichkeit des Unerwarteten, des Lebendigen. Rousseau warb dafür, uns wieder in den Naturzustand einer achtsamen Neugier für das Unbekannte zu versetzen.

 

Das Leben ist ja irgendwie eine Reise.

 

Was, wenn wir Vorkenntnisse, Erwartungen, Vorstellungen ablegen & stattdessen achtsam-neugierig empfangen, was kommt?

Nicht wertfrei, sondern wie es meine Freundin kürzlich so schön formulierte, wertvoll.

 

Charles Darwin ist es zu verdanken, dass wir um die Evolution wissen.

Die Stärksten unter den Arten haben überlebt, 

aber nicht, weil sie so gut gekämpft haben, sondern weil sie angenommen haben.

In der Geschichte haben immer jene Lebewesen fortbestanden, die sich an ihr Umfeld & dessen Anforderungen angepasst haben.

Ein schönes Beispiel dafür ist der "Birkenmesser":

Er ist ein Schmetterling, der in England & genauer gesagt, auf hellen Birkenstämmen lebt. Durch seine helle Färbung ist er vor hungrigen Vögeln geschützt, da diese ihn auf den Birkenstämmen kaum sehen. In der Zeit der Industrialisierung (&Kohleverwendung) färbten sich viele Birkenstämme schwarz. Plötzlich entstanden schwarze Birkenmesser. Wie ein Chamäleon hatte sich die Art Birkenmesser umgefärbt, um unsichtbar zu bleiben. Ende des 20. Jahrhunderts haben weniger Kohleverwendung und bessere Filteranlagen die Umwelt wieder sauberer werden lassen. Birken färbten sich wieder hell & so kehrten auch die Birkenmesser wieder zu ihrer ursprünglichen Färbung zurück.

 

Hätte sich der Schmetterling gewehrt und angekämpft, so wie ich, wäre er ausgestorben.

Durch das Annehmen der Situation & dem Umgang damit, hatte er nicht nur überlebt, er war auch reicher an Strategien geworden.

 

Auch Viktor Frankl möchte noch zu Wort kommen.

Seine ganze Lehre gründet darauf, Bedingtheiten anzunehmen & sich zu ihnen zu verhalten.

Was wäre gewesen, wenn Frankl bei seinen 3 KZ-Aufenthalten dagegen angekämpft hätte? Wie schnell wär es vorbei gewesen?

Stattdessen nahm er an & verhielt sich. Er überlebte- Gott sei Dank!!

Viktor Frankl war es auch, der meinte, den übergeordneten Sinn einer Sache können wir nicht wissen, aber wir können daran glauben.

 

 

Ich habe das Privileg, mich an wesentlich weniger tragischen Bedingungen anpassen zu dürfen. Bei mir geht's um Twinni^^.

Aus Achtung vor den Menschen, die in der Vergangenheit Großes annahmen, um unseren Fortbestand zu sichern,

aus Achtung vor dem Leben & seinem übergeordneten Sinn, werde ich zukünftig versuchen, achtsam-neugierig anzunehmen,

komme, was wolle.

 



Das Öffnen des Herzens ist nicht etwas, das man tun kann, sondern etwas, das geschieht. Der Schlüssel dazu ist Bereitschaft.
Sobald Sie bereit sind, etwas anzunehmen, öffnen sich die Türen Ihres Herzens, und zwar so weit, wie Ihre Bereitschaft reicht.
Safi Nidiaye, Das Tao des Herzens