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Trost

Die Frage, wie man jemandem begegnen soll, wie man für jemanden heilbringend da sein kann, dem es gerade richtig schlecht geht, beschäftigt mich nicht zuletzt seit meiner Ausbildung am Sinnzentrum sehr intensiv.

In meinem bisherigen Leben kam ich häufig in Situationen, in denen ich gerne gewusst hätte, wie Trost spenden, was sagen, wer sein, wenn vor meinen Augen für jemanden eine Welt zusammengebrochen ist oder er sich in der schwärzesten Stunde seiner Nacht befand.

Aber es musste gar nicht so prekär sein – selbst wenn es sich um meine engsten Freunde handelte,

bei denen ich hinter dem vorgezogenen Vorhang emotionales Unwohlsein & Bedürftigkeit erahnte, war die Überwindung oft riesig, tröstend auf diese Bedürftigkeit einzugehen.

Ich suggerierte dann, nichts davon zu bemerken & der Fassade zu glauben.

Aus Angst, aus Ehrfurcht, aus Unsicherheit, aus Selbstzweifel, aus praktischen Gründen, aus Müdigkeit, als Schutz,...

 

Vor zwei Tagen ist für mich wieder eine Welt gehörig zusammengebrochen. Nicht unbedingt objektiv betrachtet, aber gefühlt.

Es war nicht sonderlich etwas anders als sonst, aber was ich fühlte, wie ich dadurch mich & die Welt sah, schleuderte mich hinab in die tiefste, dreckigste Schlucht.

Ich litt ähnlich wie der kleine Simba aus „König der Löwen“, nachdem er glaubte, er hätte seinen Vater ermordet & am Boden zusammengekauert auf sein Ende wartete: zutiefst traurig, schuldig, fehl am Platz, einsam, ungenügend.

 

Ja, es gibt solche Stunden/Tage!

Im Leben einer Frau gibt es die sogar monatlich (wie hier in meinem Fall).

Wir schämen uns dafür, deshalb wird nicht darüber gesprochen. Einerseits verschweigen wir die ganze Hormon-Geschichte, andererseits sind intensive Gefühle & deren Ausdruck in unserer Gesellschaft völlig geächtet, natürlich vor allem, wenn es um die unangenehmen geht.

Es gilt maximal noch, wenn man diese Gefühle in Form von Kunst verarbeitet.

Ansonsten: Scham.

Und doch haben wir sie alle (& das behaupte ich trotz der Aussage unsere Deutschlehrerin in der Landwirtschaftsschule, die meinte, Verallgemeinerungen stünden für Dummheit) (zeitweise) , manche abgespalten,

manche mehr & manche weniger: die Traurigkeit, die Angst, den Zweifel, die Einsamkeit, die Wut, die Enttäuschung, die Freudlosigkeit, das Unglück.

Ich glaube niemandem, der behauptet, er nicht, nie.

Diese Gefühle (neben all den angenehmen & schönen) wurden uns geschenkt, um uns als Mensch zu erfahren.

 

An diesem meinen Tag, den ich zuvor beschrieb, war mir bewusst, dass es die Gefühle zu fühlen galt & es sich um eine monatliche Reinigungsprozedur handelte, bei der wahrscheinlich schon am nächsten Tag die Welt wieder ganz anders aussah.

 

Aber was ich auch zutiefst verspürte, war die Sehnsucht nach Trost.

Mein Lieblingsbaum: 2 Stämme aus einer Wurzel - 2 Baumriesen über einem tiefen Abgrund, die sich gegenseitig halten
Mein Lieblingsbaum: 2 Stämme aus einer Wurzel - 2 Baumriesen über einem tiefen Abgrund, die sich gegenseitig halten

 

 

Die Einsamkeit in mir, sie wirkte paradox. Einerseits wünschte ich mir nichts sehnlicher, als menschliche Berührung (nicht unbedingt haptisch) & Zuspruch, andererseits war da dieses Verlangen, Bestätigung meiner Einsamkeit zu bekommen & mich in dieser zu suhlen.

Konnte es mir in diesem Moment überhaupt irgendwer recht machen?

Mir fällt es als introvertierte Person sehr schwer, Hilfe anzunehmen, geschweige denn sie zu erbitten.

Und ich glaube, ich wirke immer dann für andere am uneinladendsten, unzugänglichsten & abstoßendsten, wenn ich eigentlich am bedürftigsten nach Nähe wäre.

 

Ich hatte das Glück, dass es vorgestern trotzdem jemand wagte, sich mir zu nähern. Es war ein waghalsiger Versuch, sich in die Höhle des Löwen zu begeben.

Dieser jemand meinte es so gut & wollte den Versuch starten, meine Gefühle mit dem Verstand zu vertreiben („keine plausiblen Gründe“, „wirklich alles schlecht?“, „age“). Das verstörte den Löwen, er bekam es in den falschen Hals & fühlte sich missverstanden. So vertrieb der Löwe den Eindringling.

Das tut mir nun wirklich leid, da die Absicht dieses Jemandes nobel war.

Nur die Durchführung schmeckte mir in diesem Moment nicht -pardon, dem Löwen.

 

Seit gestern reflektiere ich diese Situation & mir wurde bewusst, dass es die Angst vor so einer Reaktion ist, die uns hindert - wie eingangs erwähnt - jemandem Trost zu spenden/ es zu versuchen.

Nein, es war nicht ganz das, was ich vorgestern bestenfalls gebraucht hätte. Aber es war zumindest schon einmal ein da-sein. Das ist der größte und wertvollste Schritt am Trost-spenden.

Wenn auch der leidende Mensch es im betreffenden Moment vielleicht nicht ausdrücken kann, dieses da-sein wirkt (nach).

 

Um der Situation nachträglich Sinn einzuhauchen (& meine Scham zu verscheuchen :D),

versuche ich sie als Selbsterfahrung oder Trainingseinheit (wie Jens Corssen so schön sagt) zu sehen, um den eingangs erwähnten Fragen näher zu kommen.

Der Sinn des Leidens ist immerhin zumindest, Mitgefühl für andere zu entwickeln. Ich weiß aus Erfahrung, dass nichts, was ich jemals selbst

er-lebt habe, mich je wieder kalt gelassen hat.

 

 

Was ist es nun, was es im Akutfall braucht, wenn für jemanden die Welt zusammenbricht?

In Anlehnung an E. Gilbert glaube ich, letztendlich geht es um ein:

 

„Ich bleib bei dir, weil ich weiß, wie es ist, wenn man leidet

& es wäre mir eine Ehre, für dich da sein zu dürfen.

Nur da sein. Das ist das beste, was ich kann.“

 

 

Ein solch ehrliches & demütiges Da-sein sorgt dafür, dass ich mich warm, sicher und geliebt fühlen darf.

Nicht mehr und nicht weniger.

Darum geht‘s.

 


...Trost ist Licht im Dunkeln

 

Leonard Cohens Anthem

There is a crack in everything

thatś how the light gets in