Vor kurzem sprach ich mit einer Freundin.
Sie erzählte mir davon, wie sehr sie Pläne liebte. Sie meinte damit Tages- und Wochenpläne, an denen sie sich orientieren konnte, was sie zu erledigen hatte.
Wenn sie den Tagesplan erfüllen konnte, war sie zufrieden mit sich,
wenn nicht, dann ärgerte sie sich sehr über und war enttäuscht von sich.
Ihre Erwartungshaltung an sich selbst war sehr groß.
Nicht zu unrecht- sie hat sich inzwischen selbst bewiesen, dass sie zu Höchstleistungen fähig ist. Durch Selbststeuerung und -disziplin hat sie Erfolge in Bereichen eingefahren, die ursprünglich
nicht zu ihren Spezialgebieten gehörten.
Meine Freundin wusste, wenn sie sich in etwas reinkniete, & schien der Berg noch so hoch, sie konnte ihn erklimmen.
Auch nun war sie wieder an einem Projekt dran & bewies höchste Beherrschung beim Erledigen ihrer täglich vorgenommenen Vorkehrungen.
Aber sie schaffte es manchmal nicht, neben dem sonst auch noch sehr fordernden Alltag, alles davon unterzubringen, & auch, wenn sie tief in sich
drinnen wusste, dass sie gut in der Zeit lag,
regte sie das auf.
Als ich sie fragte, warum sie sich solchen Druck machte, wusste sie keine direkte Antwort und schien traurig.
Seither muss ich darüber nachdenken.
Es war so einfach, anderen aufzuweisen, dass etwas in ihrem System nicht stimmte. Hochmütig zu sein, & ihnen zu sagen, sie sollten von diesem selbst auferlegten Druck doch „einfach“ ablassen.
Aber im Endeffekt war es so, dass wir da (ziemlich) alle gleich sind, wenn auch nicht jeder bewusste oder greifbare Tagespläne mit sich herumführt.
Ich ertappte mich selbst dabei in den letzten Tagen enorm.
Neben den Fixterminen im Kalender, füllte ich scheinbar jede freie Minute noch zusätzlich mit (nicht unbedingt da notwendigen) kleinen Vorhaben, plante dabei kaum Pausen ein. Ich hüpfte von einem
ins andere, ohne Rücksicht auf fördernde Bedingungen, um die einzelnen Dinge auch gut machen zu können, was bei all dem soundso mein Mindest-Anspruch war.
Zufrieden war ich deswegen aber wohl kaum mit mir, oft erweiterte ich die Punkte sogar noch, wenn mir dämmerte, dass ich schon früher mit etwas fertig werden würde, & selbst dann verhielt ich
mich mir selbst gegenüber wie ein strenger Mentor, der seinen fleißigsten Schüler gerade mal mit einem „Genügend“ abspeiste.
Und all das, obwohl ich mich schon mehr als einmal intensiver mit Themen wie Perfektionismus, Selbstliebe & dem richtigen Maß auseinandergesetzt habe.
Woher kommt es, dass die Erwartungen an uns selbst so hoch sind, dass sie kaum erfüllbar scheinen?
Wir rackern uns für Dinge ab & können uns meist nicht mal mehr freuen, wenn wir sie geschafft haben, geschweige denn uns innerlich feiern.
Wir interpretieren es als „das Mindeste“ & vergleichen uns heimlich mit anderen- aber nicht mit jemandem aus der breiten Masse. Nein, es soll jemand sein, dem (oder dessen Bild, das wir von
diesem Jemanden haben) wir das Wasser höchstwahrscheinlich nie reichen werden.
Die Ursache dieses „Verhaltens-Tempels“ gründet nie auf einer einzigen Säule.
Wir leben in einer Gesellschaft, die es sich seit Jahrzehnten zum Ziel gesetzt hat, zu expandieren- höher, schneller, weiter, mehr, stärker, schöner,…
„Stillstand bedeutet Rückschritt“ lautet die Devise.
Wir kommen fast nicht aus, dieses Gedankengut begegnet uns scheinbar überall- in der Arbeit, im Fernsehen & Internet, in sozialen Medien, beim Einkaufen, selbst im Freundeskreis und bei
unseren Hobbys.
Das breite Feld, in dem diese Werte vorgelebt werden, schwappt nur zu leicht auf uns selbst über.
Als Frau z.B. gilt es, Mutterschaft, Lifestyle & Karriere unter einen Hut zu bringen, dabei jugendlich, schön, sportlich, gesundheitsbewusst, besonnen,
klug, sexy & interessant zu wirken- außerdem jedem Trend voraus.
Als Mann gilt es, die Karriereleiter hinaufzuklettern, die fette Kohle heimzubringen, dabei ein guter Ehemann, Vater, Kumpel, Kollege, Nachbar, Schwiegersohn zu sein, der auch noch
Freiwilligendienst in der Gemeinde leistet & in einem Verein tätig ist,
das alles neben regelmäßiger sportlicher Aktivität, intellektueller Recherche & charmantem Auftreten.
Kein Mensch kann dem heutigen
Erwartungsdruck (auf Dauer) genügen!
Und selbst wenn man es kurzzeitig schafft- da gibt es in der virtuellen Vorbild-Welt der „Influencer“ und „Blogger“ immer noch wen, der es scheinbar besser macht.
Eine weitere Säule stellt unser Elternhaus dar.
Ich bin ganz und gar kein Verfechter der Schuldsuche in der Kindheit. Ich bin der festen Überzeugung, dass „erwachsen sein“ bedeutet, Verantwortung für sich zu übernehmen & in der eigenen
Welt auszusortieren, was nicht gut war.
Aber genauso, wie Werte aus der Gesellschaft auf uns überschwappen können, so schwappen die Werte der Eltern unbewusst auf uns über, & werden oft nicht mehr reflektiert.
Oft wurden diese Werte sogar missinterpretiert.
Zum Beispiel war es für den Vater ein hoher Wert, dass sich das Kind später finanziell keine Sorgen machen sollte, & lehrte ihm, fleißig zu
arbeiten. Das Kind (miss)interpretierte Fleiß als höchsten vermittelten Wert & übernahm diesen unbewusst.
Oder der Mutter war es wichtig, dass ihrem Kind gesellschaftlich kein Übel zuteil würde, & lehrte ihm, sich anzupassen. Das Kind (miss)interpretierte, & glaubte, es war höchst wertvoll,
angepasst zu sein.
Oft glauben wir im Rückblick auf unsere Kindheit, dass unsere Eltern unsere markanteste Eigenschaft am wenigsten an uns gemocht haben, & dass sie sich von uns
etwas Gegenteiliges gewünscht hätten.
Viele Menschen leisten und tun ihr Leben lang –unbewusst-, um ihren Eltern zu genügen,
nur um dann am Totenbett von ihnen zu vernehmen, dass sie für ihre ureigenste Art geliebt wurden, & nicht für ihre Leistung oder Abmühen.
Und die dritte Säule, die ich thematisieren möchte, geht von uns selbst aus- ein mangelnder Selbstwert.
Er führt dazu, dass wir uns selbst, so wie wir (schon) sind, nicht „genug“
fühlen. Wir glauben, umso mehr wir leisten und schaffen, umso mehr sind wir wert. Wenn wir erst einmal dies & jenes geschafft hätten, könnten wir uns selbst annehmen und lieben - dann haben
wir eine Daseinsberechtigung.
Wir vollbringen & vollführen, die Selbstliebe stellt sich aber deswegen nicht ein, so machen wir weiter in immer größer werdender
Anspruchshaltung, in der Hoffnung, die nächstgrößere Leistung würde uns die ersehnte positive Selbstwahrnehmung einbringen.
Aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen, wie ihn einst Don Quijote führte, weil wir an der falschen Front kämpfen.
Druck und Anspruch wird uns niemals zur Selbstliebe bringen.
Wo führen Druck & Anspruch hin?
In Wahrheit nie zu authentischen Erfolgen,
sondern, wenn ewig verfolgt, ins Burnout.
Der Mensch ist grundsätzlich für Höchstleistungen geschaffen, aber nur, wenn die Intention
seiner Tätigkeit nicht Kompensation, sondern persönliche Sinnerfüllung ist.
Und ohne Pausen geht es so & so nicht lange gut.
Pausen bestimmen den Rhythmus.
Was tun?
Mach dir keinen Druck wegen des Druckes!
Ich glaube, in gewissem Maße ist dies ganz normal.
Aber werde dir dessen bewusst & hinterfrage, warum du dir diesen auferlegst.
Und vor allem, werde dir DEINER Werte bewusst -Womit möchtest du dein Leben wirklich füllen?
Bei all den Dingen, die man sich aufbürdet, bleibt nämlich keine Zeit für´s wahre Leben.
Es ist deine eigene Verantwortung, diesem Wahnsinn weiter zu folgen, oder Stop zu sagen, & Platz dafür zu schaffen, was dir wirklich wichtig ist.
Das ist nichts, was von heute auf morgen geht- es ist ein Prozess, der Auf und Ab´s hat. Dieses Wissen hilft dir vielleicht, nicht wieder die gleiche Herangehensweise zu verfolgen, und dir selbst
Druck zu machen, dir keinen Druck mehr aufzuerlegen…
Sei dir selbst gegenüber dabei großzügig & wertschätzend, wie es eine beste beste Freundin sein würde.
Keinen Druck auf sich auszuüben, bedeutet nicht, keine Erfolge mehr einzufahren & nichts mehr zu schaffen.
Viel eher eröffnet eine gegenteilige Haltung, nämlich eine entspannte & vertrauende, eine kreative Lösungskompetenz, die unfassbare Erfolge bescheren kann.
Und hinterher freut man sich, weil es authentische Erfolge waren, ohne Verstellen oder Erzwingen.
Ich weiß, es ist leicht gesagt, aber etwas aus einer Leichtigkeit heraus zu (er)schaffen, bedeutet, seiner Berufung zu folgen.
Dir, meiner lieben Freundin, möchte ich danken für deinen Impuls für diese Auseinandersetzung,
& sagen, dass wir, die wir um dich sind, dich nicht dafür lieben und schätzen, was du alles schaffst und erreichst,
sondern dafür, wie du mit Leichtigkeit bist, einfach du!
Du bist dann am schönsten, wenn du nicht schön sein willst!