Mein Freund hat sich vorgenommen, die momentane Zeit zu nutzen, & täglich 1,2 Leute aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis anzurufen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen & manchmal längst ausständige und ersehnte „Updates“ zu tätigen.
Man würde meinen, täglich dieselbe Leier, wenn man verschiedenen Leuten erzählt, was gerade so im eigenen Leben läuft.
Das Szenario ist immer dasselbe: Nachdem wir keinen Empfang im Haus haben, (g)ackert er seine Runden durch den Garten, den Kopf immer wieder in den Nacken geworfen, um lauthals zu lachen.
Aber das andere…
Ich hab es mir inzwischen zu einer Art Spiel gemacht, wenn ich Gesprächsfetzen aufschnappe, zu raten, mit wem er telefoniert. Wenn es sich um jemanden handelt, mit dem ich ihn schon mal reden
gehört habe, bin ich immer ziemlich gut dabei.
Denn je nachdem, mit wem er spricht, verändert sich seine Stimme, Tonart, Wortwahl und die Dynamik seiner Sprache. Beim Musikverein würden wir sagen seine Intonation ent-spricht - im wahrsten Sinne des Wortes - seinem Gegenüber.
Nun ist das bei ihm schon sehr ausgeprägt.
Das fängt schon bei den Begrüßungen an, die bei jedem Freund speziell & eingesessen sind. Seine alte Studienkollegin z.B. begrüßt er mit einem lässigen Wiener „Heast Mantlarin“, einen Freund
mit „Grüß dich, mein lieber Freund“ & einen anderen wiederum mit „Sailman, begrüß dich“ (die exotischeren notiere ich hier gar nicht).
Immer gleich!
Ich vermute, würde man ihn aus dem Tiefschlaf wecken und ihm ein Telefon hinhalten, auf dem das Display einen bestimmten Namen anzeigt, würde er trotz völliger Schlaftrunkenheit dieselbe
Intonation mit derselbe Energie aufbringen wie immer.
Aber ich dachte mir heute, genau das tun wir alle.
Wir haben uns für jeden Menschen eine eigene Sprache ausgedacht, großteils unbewusst, mit eigener Sprachmelodie, Geschwindigkeit, eigenem Emotionsgehalt & auch Inhalt.
Mit der Mutter spreche ich ganz anders wie mit einem Freund, mit dem einen Freund ganz anders wie mit dem anderen.
Es geht Hand in Hand mit den Rollen, die man „spielt“.
Auf der großen Lebensbühne möchte ich mit jedem etwas anderes erproben.
Mit dem einen meine Rolle als die, die alles in der Hand hat. Mit dem anderen die, die völlig hilfsbedürftig ist. Und genau so konträr sind unsere Rollen. Jeder nimmt vor irgendjemandem die Rolle des Starken & des Schwachen ein.
Und das nicht, um uns mit einem anderen „zu spielen“, sondern weil unbewusst JEDER JEDE Facette in sich trägt & ausleben möchte.
Wir trainieren an verschiedenen Personen unsere verschiedenen Gestalten. Sozusagen sind wir allesamt mehr als bipolar ;-)
Das Ziel ist, glaube ich, uns irgendwann gewahr zu werden, wie wir uns am meisten wohlfühlen in uns- also Authentizität.
Wir erfahren uns SELBST in der Konservation mit anderen.
Interessanterweise hat man ja nicht nur selbst eine bestimmte Rolle mit bestimmter Sprache bei anderen, sondern auch sie haben das bei einem.
Ein riesiges systemisches Konstrukt, das, verändert man nur einen Nenner, alles andere dirigiert, sich auch neu zu positionieren. Denn wenn mir der ausfällt, an dem ich z.B. meine Facette des
Bemutterns ausgelebt habe, muss ich schleunigst schauen, diesen Überschuss an „Bemutterungspotential“ irgend anderswo unterzubringen. Dadurch richtet sich alles neu ein.
[So zwischendurch: Man stelle sich vor, wie viel mehr Rollen als Menschen auf dieser Welt existieren. Auf einen Menschen kommen bestimmt hunderte. Jetzt kann man auch erklären, warum unsere Kleiderkästen so voll sind- jede Rolle braucht natürlich ihr Kostüm …]
Und dann gibt es zusätzlich noch das Phänomen, dass man auch bei jedem etwas anderes hört und überhört. Zwei Freundinnen empfehlen dir dasselbe Buch. Bei der einen nimmst du es gar nicht wahr, der Empfehlung der zweiten aber folgst du blindlings.
Viele der eingefahrenen Rollen sind absolut in Ordnung & stimmen (wieder im wahrsten Sinne).
Aber manchmal kommt der Punkt, an dem man eine solche hinterfragt, weil sie einem nicht mehr passt (man ist aus dem Kostüm herausgewachsen).
Wer schon einmal probiert hat, aus einer Rolle auszusteigen, weiß- das ist nicht leicht.
Dies zeigt sich besonders gut in Familiensystemen.
Hier hat wie bei einem Schachspiel jeder (unbewusst) seine Position, & wie oben schon erwähnt, müssten sich auch die Positionen aller anderen neu
ausrichten, wenn sich einer davon anders platziert. Dagegen wird sich gewehrt (wiederum unbewusst).
Und doch lohnt es sich.
Für sich & für alle anderen.
Es wäre ein Schritt aus der Polarität heraus in Richtung Entwicklung einer gelebten Authentizität aller Beteiligten.
Auf Deutsch: Wenn einer in der Familie der „Buh-Mann“ ist, der immer an allem Schuld ist,
& ein anderer alles super & richtig macht, dann wäre es wichtig, dass diese Personen aus diesen Rollen aussteigen. Diese Rollen entsprechen nämlich nicht der Wahrheit, es kann niemand
alles falsch und niemand alles richtig machen. Beide werden durch ihre Rollen gezwungen, etwas darzustellen, was sie nicht sind. Beide dürfen nicht authentisch sein, in all ihren Grautönen.
Rollen sind manchmal nur eine Farce & dazu da, um sie abzulegen.
Der Ausstieg eines einzelnen aus seiner unstimmigen Rolle ist Ent-Täuschung im wahrsten Sinne.
Die Täuschung wird abgelegt!
Aus welchem Kostüm bist du schon längst rausgewachsen & möchtest es abstreifen?
Und welches Kostüm möchtest du abstauben, ihm eine neue schicke Borte annähen, um es wieder öfters auszutragen?
Deine Wahl!
PS: Um noch einmal zurück zu den verschiedenen „Intonationen“ meines Freundes zu kommen.
Wenn auch vieles variabel ist, eines bleibt doch immer gleich: der Grundtenor.
So existiert auch eines verlässlich hinter jeder Rolle: unser Wesen. Es ist unser Eindruck, unser Siegel, das wir hinterlassen & das unsere Einzigartigkeit immerzu bezeugt. Also keine Angst:
Tobe dich auf der Bühne ruhig aus
:D
Geniales Lied & Video zum Thema "aus einer Rolle schlüpfen":
https://www.youtube.com/watch?v=apCal7ihvy0
Fuchs sein fetzt.