Es gibt bestimmt Dinge, die sind so sicher wie das Amen im Gebet. Sie erscheinen fast wie Lebens-Gesetze.
Sich ihrer bewusst zu werden, ist eine wertvolle Hilfe im Leben.
Eines dieser Gesetze musste ich schon viele, viele Male lernen & trotzdem stolpere immer wieder darüber. Ich spreche von Erwartungen und ihrer Wirkung, eben genau das Erwartete zu verhindern.
Man hat Geburtstag und erwartet, dass man an diesem Tag besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung von Freunden und Familie genießt- genau dann hat mit Sicherheit kaum jemand Zeit & Muße dafür, oder es wird überhaupt auf deinen Ehrentag vergessen.
Du gehst ins Kino in der Annahme, der bevorstehende Film müsse unfassbar gut sein, weil sämtliche Leute ihn hochpriesen – bestimmt empfindest du ihn nicht annähernd so gut.
Enttäuschte Erwartungen sind auch in Beziehungen großes Thema, sei es in einer Partnerschaft oder Freundschaft. Je enger wir mit jemanden in Kontakt treten, umso mehr münden Beziehungen oft in
eine Art Vertragspartnerschaft und das Gegenüber wird vom Subjekt zum Objekt degradiert: „Ich erwarte mir von meinem Partner schon, dass er seinen Körper pflegt und schlank bleibt“ oder „Das kann
ich mir doch von meiner besten Freundin erwarten, dass sie spürt, wenn es mir nicht gut geht.“ Plötzlich wird auf okkulte Verträge zurückgegriffen, deren Optionen mit dem gegenüber nie offen
besprochen wurden, schon gar nicht am Beginn einer Beziehung. Denn zu dieser Zeit kommt uns Erwarten nicht in den Sinn, vielmehr empfinden wir alles von dieser Person kommende als Geschenk und
den Schenker als überaus großzügig. Vielleicht beginnt hier die Krux, die Enttäuschungen vorprogrammiert: Wir glauben, uns auf einen „großzügigen Schenker“ einzulassen, und nicht auf einen
ebenbürtigen Menschen, in dessen Universum sich nicht alles um uns dreht, zumindest nicht mehr nach der ersten großen Verliebtheitsphase. Hört sich
unromantisch an, ist aber unabdingbar für ein vitales, dynamisches Sein.
[Hier schreibe ich so taff darüber, in Wahrheit erlebe ich aber viele Enttäuschungen auf Basis „falscher“ Erwartungen. Dass die Enttäuschungen (auch)
mit mir zutun haben müssen, wurde mir spätestens bewusst, als dieselben immer wieder auftauchten, auch wenn das Gegenüber ein anderes war.]
Auch hier greift das eingangs erwähnte Gesetz mit eiserner Beharrlichkeit.
Aber am sichersten kannst du dir von der Zuverlässigkeit dieses Gesetzes sein, wenn es um Gefühle geht.
Wenn du dir teure Konzertkarten für deine Lieblingsband kaufst in der Erwartung, dort von Gänsehaut überzogen Glückstränen zu weinen, dann wirst du höchstwahrscheinlich genau das nicht tun.
Oder du meldest dich bei „Elitepartner“ an, weil die Werbung dir verspricht, dass du dich dort in einen Single mit Niveau verlieben wirst. Von wegen!
Gefühle sind trotzige, kleine Freiheitskämpfer mit Sinn für Humor.
Sie lassen sich nicht abrichten wie ein Hund. Sie sind wohl eher wie die Katzen früher auf unserem Bauernhof: Obwohl sie offiziell nicht ins Haus durften und jeder darauf gedrillt war, sobald
eine Katze das Haus betrat, sie mit den Worten „Katzaus“ hinauszujagen, schafften sie es irgendwie, wenn unsere Mutter für einen besonderen Besuch eine Bananenschnitte gebacken hatte (und unsere
Mutter hasste es, zu backen), in den Kühlraum unseres Hauses zu gelangen, wo sie vor uns Kindern versteckt war, & die ganze Schokoladeglasur runterzufressen. Und das, obwohl alle Türen zu
schienen.
Um zum „Gesetz der Erwartungen“ zurückzukehren: Was machen wir jetzt damit?
Die gute Nachricht ist, es funktioniert wertfrei! Das heißt, es funktioniert auch bei negativen (ich als Mensch darf schon werten) Erwartungen.
Wenn man als Kind davon ausgegangen ist, für irgendetwas ziemlich geschimpft zu werden, war es meist halb so wild.
Oder: Wie ich mich gefürchtet habe vor meinem ersten Visitengang alleine mit einem Arzt! Und dann war es eigentlich ziemlich „easy“.
Vielleicht kann man sich die Erkenntnis ja zum Vorteil nutzen. Zum Beispiel, indem ich mit etwas rechne, das ich gar nicht möchte.
In der Logotherapie geht man sogar noch einen Schritt weiter in Form der Paradoxen Intention.
Man erwartet nicht nur etwas Ungewolltes, man trägt aktiv dazu bei:
Um eine neurotische Angewohnheit loszubekommen, versucht man genau diese willentlich zu erzeugen, mit dem Ergebnis, dass die Neurose überwunden wird.
Auf Deutsch: Wenn ich in bestimmten Situationen übermäßig zittere, versuche ich das nächste Mal (oder die nächsten Male) absichtlich zu zittern. Zittriger als ein Electrophorus electricus, also
ein Zitteraal.
Das Ergebnis wird sein, dass man nicht zittern kann.
Ja, das Leben ist manchmal paradox.
Luisa Francia schreibt in einem Buch den treffenden Satz: Manchmal ist es besser, die Energie zu nutzen und zu drehen, die man ohnehin nicht zurückdrängen kann. Sie machte die Erfahrung, dass
Waffen und Mittel, die eingesetzt werden, um die eigene Kraft zu schwächen oder zu brechen, durchaus zur Stärkung dienen können, wenn sie erkannt, virtuos umgedreht und genutzt werden.
Francia sprach dabei zwar von etwas anderem, aber es verhält sich auch hier genau so.
Nur dass ich nicht glaube, der Kosmos will uns mit seinen Gesetzen eine Waffe an die Stirn halten.
Ich glaube sogar (meistens), er meint es gut mit uns, wenn er unsere Erwartungen enttäuscht.
Ent-täuschung bedeutet ja, sich von Täuschungen zu trennen. Wahrhaftiger werden.
Und die größte Täuschung, die wir mit uns tragen, ist die, dass die Ursache unserer Gefühle jemand anderes oder etwas anderes ist. „Er macht mich so
unglücklich.“ „Wegen ihr bin ich ständig so wütend!“ „Ich hasse alle Katzen, weil sie heimlich Schokolade vom Kuchen fressen.“
Natürlich gibt es Dinge, die sich in besonderer Weise anbieten, bestimmte Emotionen auszulösen. Aber dann rufen sie diese lediglich hervor, sozusagen ein Anruf - das setzt voraus, dass sie schon
da sind.
Wenn wir uns ein Bild anschauen, dann findet die Schönheit nicht im Bild, sondern in uns statt.
Alles findet in uns statt. Gefühle wollen erlebt werden. Alle. Ja, auch die schirchen.
Die erwähnten „Anrufe“ machen somit Sinn.
Genauso Ent-täuschung.
Sie beide verhelfen dazu, eines Tages selbstbestimmt unsere Authentizität zu (er)leben.
Wahrhaftig zu sein.
Anstatt uns die Waffe an die Stirn zu halten, hält uns der Kosmos einen Samen hin. Den Samen, der uns ermächtigt, zu der schönen Blume zu erblühen, als die wir gedacht sind.