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Mondlandschafts-Philosophie

Heute saß ich auf einem Baumstumpf in einem dieser momentan so häufig vorkommenden Baumfriedhöfe, die einst Waldfläche waren, jetzt aber eher einer Mondlandschaft gleichen, und telefonierte (als brave Corona-Bürgerin) mit meiner Schwester.
Meine fabelhafte Schwester sprach davon, ihr Auto aufzugeben, da sie insgeheim nie wirklich eines gewollt hatte. Ihr Auto war von der Reinlichkeit her stets das fahrende Chaos. Sie meinte, dies war schon Ausdruck ihrer inneren Abwehrhaltung -  Was man nicht haben will, das pflegt man auch nicht.

 

Was man nicht haben will, das pflegt man nicht. Ist das so? Ich meine unbewusst.
Und wenn ja, ist es im Großen, wie im Kleinen - also ist es auch auf die immateriellen Dinge übertragbar?
Ich durchstöberte gedanklich mein Leben.


Bei Dingen ertappte ich mich schnell.
Ich hatte z.B. mal eine Teekanne von jemandem geschenkt bekommen, an den zu denken mir schon Kopfschmerzen verursachte. Ich ging mit dieser besagten Teekanne ziemlich unvorsichtig um, griff sie mit öligen Fingern an, damit sie mir eventuell mal aus den Händen gleiten und zu Bruch gehen könnte. Ich wusch sie nicht gern, schimpfte über ihre unpraktische Form. Natürlich – wie sollte es anders sein – passierte mit dieser Kanne nie etwas. Sie schien einen speziellen Schutzengel, & das Leben Humor, zu haben.


Dasselbe bei einer Pflanze, die mir nicht gefiel. Während fast jede meiner Zimmerpflanzen irgendwann dezent mieselsüchtig aus den Blättern schaut, blühte diese eine in besonderer Eleganz auf. Und das, obwohl ich manchmal „aus Versehen“ auf das Spritzen vergaß und sie auch nie umtopfte.


Oder die Jacken beim Fortgehen! Grundsätzlich zog man immer die alten, schäbigen an, bei denen es egal gewesen wäre, wenn sie gefladert werden sollten. Mit jeder einzelnen dieser ging man wieder heim. Selbst wenn man sie dort „aus Versehen“ hängen ließ, passierte es dann, dass dir jemand mit der Jacke in der Hand nachrannte, damit du sie ja nicht vergaßest.
Aber wehe dir, du wolltest – ermutigt von den vielen Malen Jackentreue- einmal die gute Jacke ausführen, in der du dich so schön kess fühltest. Da konntest du dir sicher sein, dass du Stunden später frierend, jackenlos auf das Taxi wartetest. Wahrscheinlich war anderen immer genau dann kalt, wenn du deine gute Jacke dabei hattest…

 

Zurück zum Thema: bei materiellen Sachen verhält es sich bestimmt so, dass wir das vernachlässigen und nicht pflegen, was wir nicht (mehr) wirklich mögen.  Und bei den nicht-greifbaren Aspekten unseres Lebens? Bei Beziehungen zum Beispiel?
Das ist natürlich schwieriger zu beantworten, weil „pflegen“ da einen großen Interpretationsspielraum eröffnet. Die Bedeutung ist sehr individuell. Was für den einen normal ist, ist für den anderen vielleicht schon Vernachlässigung oder gar Aufdringlichkeit. Und dann betrifft es bei einer Beziehung auch immer min. 2. 

Zwei Verständnisse von geeigneter Pflege treffen aufeinander. Bestenfalls sind sie sich ähnlich. Andernfalls muss man einen geeigneten Kompromiss finden, damit Beziehung langfristig funktionieren kann.
Und dann ist die Pflege von Beziehungen auch naturbedingten Schwankungen unterworfen. Lebensumstände, persönliche Entwicklungen & andere Aufmerksamkeitsmagneten bewirken, dass aktive Beziehungspflege Fluktuationen aufweist.

 

Für mich geht es in der Beziehungspflege vor allem um Qualität.
Denn manchmal schadet ein Treffen der Tiefe einer Beziehung, wenn es nur darum geht, quantitativ Zeit gemeinsam verbracht zu haben. Wer kennt das nicht, wenn man sich mit jemandem verabredet, & man das ganze Treffen über das Gefühl hat, für den anderen Last zu sein, weil dieser eigentlich gar keine Zeit und Muße dafür hätte.
Und dann hat man Freunde, von denen man selten hört, aber wenn, dann ist die Verbindung sofort wieder da.

 

Um zurück zum Thema zu kommen: 
Ja, ich glaube auch auf Beziehungen trifft die Aussage meiner Schwester zu. Manche Beziehungen „schleichen“ sich einfach aus. Dabei werden sowohl qualitative, als auch quantitative Pflege/Kommunikation/Nähe immer weniger, bis sie gar nicht mehr vorhanden sind.
In bestimmtem Maße vermutlich ein völlig natürliches Phänomen.

 

Eine fabelhafte Person hat mir die fabelhafte Bücherwelt Thomas Sautners eröffnet. (Nein, ich hab keinen Vertrag mit dem Urheber des Wortes „fabelhaft“)
Sein Buch „Die Älteste“ handelt von einer jungen Frau mit unheilbarer Krebsdiagnose, die eine weise, alte jenische Heilerin aufsucht. Die Heilerin lehrt der Frau als Heilungsansatz u.a. einen Perspektivenwechsel: Wir Menschen haben die Angewohnheit, mit einer Krankheit verachtend zu kommunizieren, wir sehen sie als etwas schicksalhaft & absolut Negatives und möchten nichts mehr, als dass sie einfach verschwindet. Sophie, die junge Frau, sollte stattdessen ihrem Hirntumor dankbar entgegentreten und ihm Licht & Liebe schicken. Sie sollte die Stelle des Kopfes, worunter er sich befand, balsamieren, also pflegen. Der Tumor war lt. Der Ältesten nichts Schicksalhaftes, sondern ein Geschwür, das alle Wut und Trauer Sophies aufgenommen hatte. Er war wie ein Schwamm, der alle niedrigen Gefühle aufsaugte, und sich durch Höherschwingendes wie Dankbarkeit, Liebe und Zuwendung auswringte, kleiner wurde.

 

Nur ein Gedankenexperiment:
Was würde geschehen, wenn wir begännen, das was wir nicht (mehr) haben wollen, zu pflegen?
Wenn wir es mit kostbarem Balsam eincremten, in die edelsten Stoffe kleideten, ihm Gute-Nacht-Lieder vorsängen & es mit Liebe fütterten?
Wir könnten diesen Dingen für ihre Treue danken. Ob die verhasste Nase, der cholerische Lehrer  oder ein ungewolltes Verhaltensmuster - sie waren stets zur Seite, selbst oder erst recht, wenn wir sie nicht wollten, boomeranggleich.


Ob sie durch die liebevolle Aufmerksamkeit verschwinden oder nicht, was macht das schon, wenn wir sie zu lieben beginnen?

 

Oder wie Mahatma Gandhi einst so treffend sagte:

Nichts kann mich ohne meine Erlaubnis verletzen.

 

 


PS.: Ich hoffe für die Förster & Bauern, dass sie den „Käfer-Bäumen“ auch dankbar entgegengetreten sind, als sie sie fällten, um solch Mondlandschaften zu kreieren. ;-)