Es war an einem dieser wundervoll frühlingshaften Morgen, wie wir sie diese Woche so oft genießen durften.
Die Luft war zwar noch frisch, aber der fröhliche Vogelgesang lockte bereits aus dem Bett & weiter -hinaus in die Natur. Nichts ließ auf die bestehende Krise schließen, wäre nicht die Luft
von einem Hauch Nervenaufrieb geschwängert. Seit Tagen, genauer gesagt seit Verkündung der Ausgangskontrolle, plagten mich starke Kopfschmerzen.
Inzwischen routiniert, stieg ich auf mein Fahrrad, um im nahegelegenen „Fitnesswald“ ein paar lockere Morgenrunden zu laufen. Heute war etwas neu- den Eingang des Waldes zierte ein Schild, das
von rechtlich angeordneten Sperren von öffentlichen Spielplätzen kündete. Enttäuscht und etwas grantig senkte ich den Blick, wollte schon wieder kehrt machen. Aber dann dachte ich noch einmal
logisch nach: In den letzten Wochen, in denen ich hier regelmäßig lief, fand ich kaum jemand anderen in diesem Wald vor. Und die Fitnessgeräte darin benutze ich soundso nicht. Wieso sollte ich
nicht ein paar Runden durch diesen Wald laufen? Ich konnte keinerlei Gefahr ausmachen, die davon ausgehen sollte.
Ich lief die erste Runde, noch etwas angespannt, und siehe da- keine Menschenseele.
Bei der zweiten Runde ließ ich meine Füße, nun entspannter, über den schmalen Schotterpfad gleiten, der die Richtung durch diesen moosigen Wald dirigierte. Den Weg säumten bereits zarte
Frühlingsboten- Buschwindröschen, Hänsel & Gretel, Schlüsselblumen. Im Anblick dieser versunken, erschrak ich, als bei „Fitnessstation 2“ ein Mann wie wild turnte. Er war in etwa 70 Jahre
alt, trug einen glänzenden Trainingsanzug aus den 80érn und schien mich nicht zu bemerken, als ich an „seiner“ Station vorbeilief. Ich ertappte mich, wie ich im Weiterlaufen innerlich den Kopf
schüttelte und ihn verurteilte, weil er sich nicht an das Schild am Eingang hielt. Ich war grantig auf ihn.
Und trotzdem konnte es mir nicht schnell genug gehen, bis ich ihn das nächste Mal passierte. Er war noch immer bei Station 2, wo er auch die restliche Zeit meines Waldlaufes bleiben sollte, um
dort hochkonzentriert Fitnessübungen akrobatischster Liga durchzuführen, nur um mich ein weiteres Mal nicht zu bemerken. Jetzt traute ich mich erst nicht mehr, ihn zu grüßen.
Nachdem ich circa 3 Runden gelaufen war, entdeckte ich schon von der Weite in der Nähe des Weges in einem fast ausgetrockneten Bachbett einen türkisenen Fleck. Näher, erwies sich der Fleck als
üppiger Rücken einer gebückten Frau, die dort Kräuter zu sammeln schien. „Noch mal passiert mir das nicht“, dachte ich mir und grüßte sie laut „Griaß di!“. Sie drehte ihren Kopf nur ganz leicht
nach rechts, um mir über ihren Rücken ein verschmitztes Lächeln zuzuwerfen, ganz so, als ob sie meine plötzlichen Worte keineswegs überraschten, sondern eher, als hätte sie mich erwartet. Auch
sie war dem Anschein nach bereits etwas älter, vielleicht 75, 80? Sie hatte schulterlanges, graues Haar und einen massigen Körperbau.
Ich lief weiter, etwas verdutzt, aber ein Grinsen umspielte meinen Mund. Von Grantigkeit keine Spur mehr. Ich mochte schrullige Menschen schon immer.
Von nun an genoss ich es, ihre Wege zu streifen. Soviele Runden schaffte ich selten.
Der Mann machte sein Ding, die Frau ihres und ich meines. Wir koexistierten, aber Corona schien hier nicht zu existieren.
Die letzte Runde ging ich in lockerem Schritt, um meinen Puls langsam zu beruhigen.
Der ältere Herr trainierte wie gehabt.
Aber wider Erwarten sagte er nun etwas: „oa Rundn geht schau nu“. Zu sich, zu mir? Ich weiß es nicht. Ich antwortete trotzdem überschwänglich: „für mi passts.“
Am Weg nach Hause sinnierte ich dem Ganzen nach. War ich wie Alice gerade in einem Wunderland gewesen? Zumindest fühlte es sich so an.
Die Begegnungen lassen mich seither nicht mehr ganz los. Ich erfreue mich daran, wundersame Dinge hineinzuinterpretieren. Zum Beispiel, dass ich Ying und Yang in diesem Wald begegnete, dem
vollkommensten Weiblich- und Männlichen, oder unterdrückten Facetten von mir. Dann fällt mir auch der Roman „Die Hütte“ ein, und ich fühle mich wie Mackenzie auf eigentümliche Art verwirrt und
bereichert.
Ich genieße es, in rauen Zeiten wie diesen eine magische Zuflucht gefunden zu haben, die es mir zu schmunzeln und staunen erlaubt.
Dir wünsch ich genau dasselbe!